Stellungnahme zu Zeitungsartikel: Maßregelvollzug Verantwortliche fordern Verschärfung des §64

In einem Südkurier-Artikel wird der Eindruck erweckt, dass psychisch kranken Personen im Maßregelvollzug bewusst täuschen – und deshalb eine entsprechende Verschärfung der Gesetze notwendig ist. Der LVPEBW ist anderer Meinung und veröffentlicht diese Stellungnahme dazu.

Den Bericht im Südkurier finden Sie hier:

Maßregelvollzug in Zentren für Psychiatrie in der Region ist völlig überfüllt 
„Wir sind hoffnungslos überbelegt“: ZfP-Verantwortliche fordern Verschärfung des Paragrafen 64 StGB

Stellungnahme des LVPEBW

Die Unterbringung der aufgrund ihrer psychischen Erkrankung straffällig gewordenen Menschen ist in §63 und die Unterbringung der aufgrund ihrer Suchterkrankung straffällig gewordenen Menschen ist in §64 geregelt.

In §61 sind die Formen der Maßregeln zur Besserung und Sicherung genannt.

Bei beiden Erkrankungen handelt es sich gem. Klassifikationssystem der WHO, der ICD-10, um psychische Störungen, die in der Gruppe F 00 -99 aufgeführt sind.

Es wird im Artikel den Menschen, die nach §64 Suchterkrankungen untergebracht sind bewusste Täuschung vorgeworfen um Vorteile zu erlangen. Ja es erscheint beim Lesen sogar so, dass allen psychisch Erkrankten im Maßregelvollzug bewusstes Täuschen vorgeworfen wird. Hier werden die Kompetenzen der Gutachter und behandelnden Ärzte und Psychologen massiv angegriffen. Dem ist nicht so, die Rückfallquote in der forensischen Psychiatrie ist sehr gering.

An acht Standorten in BW gibt es Einrichtungen für den Maßregelvollzug*

Ein Anstieg der Patientenzahlen im geregelten Maßregelvollzug ist zum einen eine Folge der Verstärkung der Präventionsmaßnahmen aufgrund des öffentlichen Drucks, zum anderen eine logische Folge des allgemeinen Anstiegs der psychischen Erkrankungen in Deutschland.

Im StGB §§ 61-72 ist die Anwendung und Durchführung des Maßregelvollzugs (einschl. Unterbringung zur Entziehung) nach Bundesgesetz geregelt

Mit Inkrafttreten des PsychKHG wurde zum 01. Jan 2015 eine Gesetzgebung die insbesondere durch §33 die Ziele der Behandlung und durch §38 die Behandlung, auf Landesebene regelt.

Hier wurden erstmals in Baden Württemberg spezialgesetzliche Rahmenregelungen für den Maßregelvollzug getroffen, die bei strenger Wahrung der Rechtsstaatlichkeitsprinzipien den Zielen der Therapierung von Straftäterinnen und -tätern gleichsam wie der Sicherung der Bevölkerung genügen

Der Maßregelvollzug soll die Täter zum Schutz der Gesellschaft davon abhalten, weitere Straftaten zu begehen. Der Maßregelvollzug hat also einen präventiven Charakter. Er soll nicht bestrafen, da sie lt. richterlichem Urteil und Gesetz schuldunfähig oder teilweise schuldunfähig sind. Die Gründe hierfür können zum Beispiel eine psychische Erkrankung, eine Suchterkrankung oder eine geistige Behinderung sein.

Zur Entscheidung über die Einweisung in den Maßregelvollzug werden zusätzlich Sachverständigengutachten zur Einschätzung der Schuldfähigkeit zur Tatzeit und Prognose über die Gefährlichkeit der Patienten herangezogen. Diese psychiatrischen Gutachter haben eine diagnostische und prognostische Aufgabe und sie arbeiten angeleitet durch das Gericht.

Wie lange ein psychisch erkrankter Straftäter im Maßregelvollzug bleiben muss, hängt dabei unter anderem von der Diagnose, der Behandelbarkeit der Patienten und der Risikoabschätzung ab
Bei der Frage nach einer möglichen Entlassung werden immer Rückfallprognose-Gutachten von einem forensischen Psychiater angefordert.

Die Dauer der Unterbringung im Maßregelvollzug nach § 63 StGB (psych. Erkrankung) ist nicht befristet, sondern richtet sich allein nach den Behandlungsfortschritten der Patientinnen und Patienten. Erst wenn nach sorgfältiger Beurteilung und bestem ärztlich-therapeutischen Wissen keine Gefährdung mehr von der Patientin / dem Patienten ausgeht, kann der Freiheitsentzug schrittweise gelockert werden bis hin zur gerichtlich angeordneten Entlassung.

Die Dauer der Maßregeln nach § 64 StGB (Sucht) ist befristet. Der Gesetzgeber geht von einer Dauer der Behandlung von 2 Jahren aus, die sich in der überwiegenden Anzahl der Fälle um einen Anteil der parallel verhängten Freiheitsstrafe verlängert.

Es ist nicht richtig, dass Patienten im Maßregelvollzug einen Vorteil zur Haftzeit erlangen. In der Regel ist die Unterbringung im Maßregelvollzug länger und die Behandlung wird auch nach Entlassung noch fortgesetzt. Die ambulante Nachbetreuung in den forensischen Institutsambulanzen ist bundesweit etabliert und arbeitet sehr erfolgreich.

Unsere Forderungen

Wir schließen uns den Planungen und Forderungen des Minister Manfred Lucha in Bezug auf mehr Fachpersonal an. Ebenso fordern auch wir eine verbesserte Abstimmung und Zusammenarbeit der zuständigen Behörden, Ärzte, Psychologen, Richter und Gutachter um eine effizientere und nachhaltigere Behandlung zu gewährleisten.

Eine Vergrößerung der vorhandenen Einrichtungen bzw. Neubauten um noch mehr Patienten in forensichen Einrichtungen unterzubringen lehnen wir ab. Hier sollten andere Lösungen wie z.B. die Stärkung der Einrichtungen, die in die Nachsorge eingebunden sind oder geeignete Wohnformen der Nachsorge gefunden werden, um die Verweildauern bei langjährig untergebrachten Patienten evtl zu verkürzen. Hierzu müssen von Psychiatern, Gutachtern und Gerichten gemeinsam Lösungen erarbeitet werden.

Durch vorhandene Gesetzgebungen sind die notwendigen und erforderlichen Regelungen ausreichend und wir sehen keine Notwendigkeit einer Änderung oder gar Streichung einzelner Gesetze.

Das Problem des stetigen Anstiegs der Patientenzahlen in der Forensik muss weitgehender hinterfragt werden, um Maßnahmen zu ergreifen.

Psychisch erkrankte suchtabhängige Menschen, die nicht therapieeinsichtig und zugleich laut Gericht nicht schuldfähig sind in den Strafvollzug abzuschieben ist inhuman und verlagert das Problem nur in den Strafvollzug.

Die Verantwortung, die fehlenden Kapazitäten, fehlende Räumlichkeiten kann und darf nicht zu Lasten kranker Menschen (sowohl Sucht- als auch psychisch Kranken die straffällig werden aufgrund ihrer Erkrankung) ausgetragen werden.

Um eine höhere Akzeptanz der Forensik in der Bevölkerung, ein besseres Verständnis für die Chancen des Maßregelvollzugs und deren Präventionsmaßnahmen zu erreichen fordern wir einen Dialog zwischen den Kliniken, den forensischen Einrichtungen der Nachsorge und den Medien.

Weiter wünschen wir uns eine Öffnung der forensischen Psychiatrien in Form von schriftlichen Berichten über die jeweilige jährliche Situation, wie z.B. Fallzahlen, bauliche Gegebenheiten, Personaldichte, Verweildauer.

Quellen:
DGPPN-Hauptstadtsymposium „Psychisch kranke Straftäter: Therapie und Prognose“2013, Zeit2013,StGB, PsychKHGBW+Vorblatt, ICD, Ministerium für Soziales und Integration BW, Wikipedia, Forensik Transparent

* Bad Schussenried, Calw, Emmendingen, Reichenau, Weinsberg, Weissenau, Wiesloch und Zwiefalten.

Erstellung und Verantwortung Harald Metzger, stellv. Vorsitzender LVPEBW


Hier die gesamte Stellungnahme zum Download:

Stellungnahme LVPEBW Maßregelvollzug