Positionspapier zur ambulanten Behandlungsweisung

Hammer schlägt auf Ei

Der LVPEBW e. V. spricht sich ganz klar und eindeutig gegen jegliche Form der Ausweitung von Zwangsbefugnissen wie zum Beispiel „ambulante Behandlungsweisungen“ aus. Zur Begründung führen wir an:

„Ambulante Behandlungsweisungen“ stellen einen massiven Eingriff in die Freiheits-, Menschen- und Grundrechte von Menschen mit psychiatrischen Diagnosen dar. Die Erfahrungen sowie die Forschung aus anderen Ländern, in denen es vergleichbare Instrumente bereits seit längerer Zeit gibt, weisen eindeutig nach, dass dieser Ansatz nicht geeignet ist, um das angestrebte Ziel (Vermeidung von rezidivierenden Krisen) zu erreichen.

Ebenfalls basierend auf den Zahlen aus anderen Ländern lässt sich klar nachweisen, dass es sich eben nicht um „ganz wenige“ Menschen handelt, die von dieser Maßnahme betroffen sein könnten bzw. würden. Darüber hinaus zeigt sich, dass wenn eine solche Maßnahme erst einmal zur Verfügung steht, diese auch zunehmend und sozusagen inflationär genutzt wird. Des Weiteren halten wir eindeutig fest, dass der LVPEBW e. V. die Verletzung von Grund- und Menschenrechten nicht toleriert, auch wenn es sich nur um ganz wenige Menschen handeln soll.

Probleme im Versorgungssystem (Personalmangel, Kostendruck, zu wenig niedrigschwellig zugängliche Unterstützungsangebote, Herausforderungen durch die Einführung des BTHG, etc.) werden mit einer solchen Herangehensweise einseitig zu Lasten der betroffenen Menschen verlagert. Ebenso wird eine „Behandlungsweisung“ aufgrund des Begleitungs-, Organisations- und bürokratischen Aufwandes zu dieser, zu weiteren Kosten und Personalaufwand führen. Dies wird zwangsläufig auch zu Lasten aller Menschen im Hilfesystem gehen.

„Ambulante Behandlungsweisungen“ können bei kritischer Betrachtung als bequeme Lösung für den Umgang mit jenen Menschen verstanden werden, die es dem System nicht leicht machen und dieses durch eine schwere Erreichbarkeit herausfordern.

Dieser Situation ist mit menschlich und fachlich angemessenen Mitteln zu begegnen und nicht mit dem Ausbau von Zwangsbefugnissen. Versuche, schwer erreichbare Menschen mittels Zwangsmaßnahmen bzw. richterlichen Weisungen zu erreichen, werden diese Menschen dazu nötigen, sich noch weiter vom Hilfesystem zu entfernen und sich auch von niedrigschwelligen Angeboten zu distanzieren.

Eigentlich ist es an der Zeit, ganz andere Themen und Aspekte anzugehen, um diesen Menschen endlich angemessene Unterstützung zu bieten. Hierzu fällt uns unter anderem ein

  • Bestehende gute Konzepte und Ansätze (wie zum Beispiel Krisendienste, Offener Dialog, etc.) endlich umsetzen – und zwar in der Breite und überall
  • Auseinandersetzung damit, welche Faktoren dazu beitragen, dass Menschen in solch schwierige Situationen geraten
  • Den Blick weiten und nicht länger lediglich auf das als auffällig erlebte Individuum richten, sondern in gleichem Maße auf den jeweiligen Kontext und das komplette System
  • Unsicherheit aushalten und uns verabschieden vom Gedanken an eine „Null-Risiko-Gesellschaft“
  • Akzeptieren, dass Menschen manchmal auch für uns unerreichbar bleiben werden
  • Anerkennen, dass die Haltung und die persönliche Beziehungsebene ganz wichtige Wirkfaktoren sind und die Unterstützung dementsprechend umgestalten
  • Beziehungskontinuität gewährleisten für die Menschen, anstatt weiter an einer Betreuung nach Schichtdienst und Zuständigkeitsbereichen (z. B. Klinik ambulant) festzuhalten
  • Ambulante Unterstützung in der Gemeinde in Form von niedrigschwelligen und unmittelbar zugänglichen Angeboten aufbauen und erweitern
  • Freiwillig nutzbare Krisendienste aufbauen und flächendeckend etablieren

Aus unserer Perspektive stellt die „ambulante Behandlungsweisung“ eine Ausweitung der Kompetenzen der Kliniken (und somit des überwiegend medizinischen Paradigmas) auf den ambulanten Bereich dar. Eine solche Vorgehensweise negiert die Bedeutung von psychosozialen Faktoren für die Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischen Krisen. Sie ist somit als eklatanter Rückschritt in der Entwicklung einer guten Versorgungsstruktur zu betrachten.

Der Verweis darauf, dass bei der Einführung von „ambulanten Behandlungsweisungen“ nicht lediglich Medikation, sondern darüber hinaus auch ergänzende therapeutische Maßnahmen mit installiert werden würden, wirft bei uns Fragen auf.

Wo sollen diese ambulanten therapeutischen Maßnahmen denn dann herkommen?

Der Mangel an therapeutischen Unterstützungsmaßnahmen, niedrigschwelligen Angeboten zur Krisenbegleitung, etc. ist hinlänglich bekannt. Diese werden nicht mehr werden, wenn es Instrumente wie „ambulante Behandlungsweisungen“ geben würde. Wie also soll das dann konkret aussehen? Werden dann niedergelassene Therapeut*innen etc. zum Beispiel mit einem Versorgungsauftrag belegt? Ist das das Ziel? Dass diese dann jene mit einer solchen Weisung belegten Menschen aufnehmen müssten? Und wie sollte das praktisch gehen? Wo sollten diese Berufsgruppen die Zeit und die Kapazitäten hernehmen? Oder geht es vielmehr darum, dass die Kliniken diese Aufgabe übernehmen würden? Werden also sozusagen die Kliniken und das überwiegend medizinische Paradigma in die ambulanten Versorgungsstrukturen wie Gemeindepsychiatrische Zentren (GPZ`s) und Sozialpsychiatrische Dienste (SPDI`s) ausufern? Ist das das Ziel? In Anbetracht dieser noch offenen Fragestellungen befürchten wir zu Recht, dass der Hauptfokus der „ambulanten Behandlungsweisung“ in einer längerfristigen bzw. dauerhaften Medikation der betroffenen Menschen bestehen würde.

Der LVPEBW e. V. wendet sich darüber hinaus gegen das Narrativ, welches hier aufgebaut wird, dass es lediglich die Betroffenen-Ebene sei, die Kritik an diesem Vorhaben äußeren würde. Es gibt inzwischen bereits ein Statement der DGSP, welches ebenfalls auf die Notwendigkeit von anderen Ansätzen verweist und der Idee der „ambulanten Behandlungsweisung“ kritisch gegenübersteht. Auch in ärztlichen und anderen Fachkreisen gibt es kritische Stimmen zu einem solchen Vorgehen. Diese werden in der Diskussion bisher nicht berücksichtigt.

Wir fordern daher eine noch viel breiter geöffnete Diskussion, in die tatsächlich aus verschiedenen Ebenen und Fachrichtungen unterschiedliche Blickwinkel eingebracht werden können. Eine solche Thematik kann und darf nicht in einem kleinen elitären Kreis besprochen werden, sondern muss mit einer breiten (Fach-)Öffentlichkeit geführt werden.

Berechtigter Kritik und anderen Haltungen zu diesem Thema hat man sich unserer Auffassung nach zu öffnen. Offenheit, Transparenz und ein umfassender Informationsstand sind hierfür essenziell. Es ist daher notwendig, dass der Blick nicht immer wieder verengt nur auf jene Personengruppe gerichtet wird, die sich in einer forensischen Unterbringung befindet. Für diese Gruppe von Menschen gibt es bereits das Instrument der „Therapieweisung“, welches im Anschluss an die Unterbringung in einer Forensik ausgesprochen werden kann.

Mit der „ambulanten Behandlungsweisung“ soll jedoch exakt dieses Instrument zu einer Präventionsmaßnahme ausgebaut werden für Menschen, bei denen gemutmaßt wird, dass sie eine hinreichend relevante Straftat begehen könnten und in einer forensischen Unterbringung landen könnten.

Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf die bekannten Problematiken von Gutachten, die stets nur Einschätzungen und Mutmaßungen über die Zukunft darstellen. Darüber hinaus lehnen wir jede Form von überwachender und freiheitsbeschränkender Prävention generell ab.

Und wir weisen an dieser Stelle nochmals darauf hin, dass schon in den Primärquellen zur 33. Ethik-Tagung, die am 10.10.2023 in Zwiefalten stattfand, in Form des Flyers und des Eckpunktepapiers deutlich wird, dass es eben nicht nur um Menschen mit fremdgefährdenden Verhalten geht. Benannt sind hier ausdrücklich auch Menschen mit selbstgefährdendem Verhalten und sogenannte „Drehtür-Mechanismen“ (Menschen, die immer wieder stationär behandelt werden müssen). Wir halten es für irreführend, wenn dieser Umstand bei den Gesprächen zur Idee von „ambulanten Behandlungsweisungen“ immer ausgelassen wird.

Wir kommen somit zum Fazit

N – Nicht gut.
E –  Eine ganz schlechte Idee.
I –  In jeder Hinsicht rechtswidrig.
N –  Nach gründlicher Prüfung des Sachverhaltes als ethisch unzulässig abzuweisen!

Das Statement des LVPEBW e. V. zu „ambulanten Behandlungsweisungen“ deckt sich somit mit den Positionierungen von anderen Betroffenen-Organisationen wie dem BPE und den Kellerkindern e. V. und lässt sich in einem Wort zusammenfassen


N E I N

Grund- und Menschenrechte sind nicht verhandelbar.
Es kann keine Diskussion an dieser Stelle geben.


Gerne steht der LVPEBW e. V. beratend und unterstützend zur Seite, wenn sich auf die Suche nach besseren Antworten auf die Schwierigkeiten von schwer erreichbaren Menschen in psychischen Krisen und Ausnahmezuständen begeben wird. Unser Ziel ist es, für unsere Mitglieder und alle Menschen in psychischen Krisen und Ausnahmezuständen eine bessere Unterstützung zu generieren. Dafür setzen wir uns gerne, anhaltend und beharrlich ein. Das ist unser Auftrag und unser Selbstverständnis.

Die Autorin

CARINA KEBBEL

und der Vorstand des LVPEBW

DR. CHARLOTTE KLEMPT
RENÉ MÜLLER
ELKE STERZENBACH
SYBILLE MICHALSKI
BERTHOLD BAUSCH

Dieses Positionspappier können Sie hier downloaden:
LVPEBW Postitionspapier Ambulante Behandlungsweisung

Wir freuen uns über eine Weitergabe

Mehr Infos zur Ambulanten Behandlungsweisung finden Sie auf unserer Infoseite: Ambulante Behandlungsweisung.